Preis der Literaturhäuser 2013

Hanns Zischler

Die Programmleiterinnen und Programmleiter der im Netzwerk verbundenen Literaturhäuser Basel, Berlin, Graz, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Rostock, Salzburg, Stuttgart und Zürich ehren Hanns Zischler als einen Autor, der sich in besonderem Maße um das Gelingen von Literaturveranstaltungen verdient gemacht hat.

“Einen berühmten Schauspieler dürfen wir den Mann von 66 Jahren nennen, der auf den Namen Hanns Zischler hört. Ihm, Hanns Zischler, dem Schriftsteller – oder müssen wir ihn Literaturforscher, Übersetzer, Fotografen, Verleger gar nennen? – verdanken wir den folgenreichen Hinweis darauf, dass der Kinogeher Franz Kafka angesichts der beschleunigten Dramatik der kinematographischen Lebensverläufe sich zurückverwiesen sah auf sein Ruhebedürfnis, das Beharren auf seiner Textarbeit als Selbstbehauptung ebenso wie als Widerstand gegen das erschreckende Tempo der Bilder. Die stereoskopischen Stadtansichten des Kaiserpanoramas in Friedland, die Kafka 1911 gesehen hat, erschienen ihm „lebendiger als im Kinematographen, weil sie dem Blick die Ruhe der Wirklichkeit lassen. Der Kinematograph gibt dem Angeschauten die Unruhe der Bewegung, die Ruhe des Blicks scheint wichtiger“.

Hanns Zischler versteht es mit seinen kulturhistorischen Büchern in vorzüglicher Weise, konzentriert, ruhig, extrem kenntnisreich und in anschaulicher Prosa Sachverhalte darzustellen, deren komplexe Natur er sich in akribischer Forschungstätigkeit angeeignet hat.So hat er nicht nur die Kafka-Leser und –Philologen auf die eminente Bedeutung des Films für dessen Haltung zu seinem eigenen Leben und Werk hingewiesen, den jungen Sprachlehrer James Joyce in Pola bei seinen ersten Schritten zu dem Schriftsteller hin beobachtet, der die Erzählliteratur des 20. Jahrhunderts revolutionieren sollte, und aus einem vergessenen Überseekoffer in den Depots des Naturkundemuseums Berlin, der achtzehntausend Falter aus dem kolumbianischen Hochland enthielt, Leben und Werk des Naturforschers Arnold Schultze rekonstruiert. In seinem neuesten Buch „Berlin ist zu groß für Berlin“ (Galiani Verlag Berlin), einer Text- Bild-Essay-Collage, hat der Spaziergänger Hanns Zischler der im Selbstlob verstiegenen Stadt ihre verborgene und verdrängte Topographie ins Gedächtnis gerufen.

In vielen unserer Häuser hat Hanns Zischler Texte anderer Autoren gelesen und unserem Publikum vorgeführt, wie anders sich Literatur anhört, wenn der Lesende bis ins kleinste Detail mit dem Inhalt dessen vertraut ist, das er ja „nur“ durch seine Stimme zum Sprechen bringen müsste. Aber er hat auch über Literatur, über Schriftsteller, Dichter und Filme so gesprochen, wie es einer tut, der von seinen alltäglichen Leidenschaften spricht“ so die Begründung der Jury.

W. G. Sebald, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller, hat in einem Aufsatz Stichworte zu einer Laudatio auf Hanns Zischler geliefert; wiewohl sich diese lediglich auf dessen Verdienste um Franz Kafka beziehen, zitieren wir sie hier, denn sie gelten gleichermaßen für alle weiteren Bücher, Aufsätze und Vorträge: der vervielfachten Professionalität von Hanns Zischler: „Anders als die zünftigen Germanisten, deren verbohrte Untersuchungen regelmäßig umschlagen in eine Travestie von Wissenschaft, und anders auch als die an der Schwierigkeit Kafkas ihren höheren Scharfsinn erprobenden Literaturtheoretiker beschränkt Hanns Zischler sich auf den zurückhaltenden, nirgends über den Gegenstand eines Interesses hinausstrebenden Kommentar. Gerade diese nur am Sachlichen sich orientierende und keinerlei Erklärungsversuche sich erlaubende Zurückhaltung ist es, die, wie man jetzt in der Rückschau erkennt, die verdienstvollsten Kafka-Forscher auszeichnet.“