Elke Erb erhält den Georg-Büchner-Preis 2020

Die 2011 mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnete Autorin ist diesjährige Trägerin des bedeutendsten deutschen Literaturpreises

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht den Georg-Büchner-Preis 2020 an die Schriftstellerin Elke Erb. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und wird am 31. Oktober 2020 in Darmstadt verliehen.

Begründung der Jury:
»Mit Elke Erb ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein unverwechselbares und eigenständiges schriftstellerisches Lebenswerk, dessen Anfänge 1975 in der DDR lagen und das sich nach deren Ende unbeirrt bis in die Gegenwart fortsetzt. Elke Erbs poetischer Sachverstand, der sich auch in ihrer reichen übersetzerischen Arbeit zeigt, beeinflusste mehrere Generationen von Dichterinnen und Dichtern in Ost und West. Ihre Gedichte zeichnen sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist. Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert. Für die unverdrossene Aufklärerin ist Poesie eine politische und höchst lebendige Erkenntnisform.«

Gratulation seitens des Netzwerks der Literaturhäuser:
»Vor knapp zehn Jahren verlieh das Netzwerk der Literaturhäuser aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Elke Erb den Preis der Literaturhäuser«, teilte der Vorsitzende des Netzwerks, Hauke Hückstädt, vom Literaturhaus Frankfurt mit. »Jetzt applaudieren wir der widerständigen, auf der Bühne immer sprachlebendigen Autorin zu dieser Auszeichnung, die auch eine Würdigung ist der findungsreichen Formstrenge wie zugleich aller Brechungen von Strenge.«

Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in Scherbach, einem kleinen Dorf in der Eifel geboren. 1949 – in ihrem 12. Lebensjahr – übersiedelte sie mit der Familie nach Halle, DDR. Nach dem Studium der Germanistik, Slawistik und Pädagogik arbeitete sie von 1963 bis 1965 als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag. Seit 1966 ist sie freiberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin vorwiegend aus dem Russischen tätig. Ihr reichhaltiges Werk versammelt Lyrik, Kurzprosa, prozessuale Texte, Übersetzungen, Nachdichtungen, Herausgaben. Sie wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter: Peter-Huchel-Preis 1988, Rahel-Varnhagen-von-Ense-Medaille 1994, Preis der Literaturhäuser 2011, Ernst-Jandl-Preis 2013, Mörike-Preis der Stadt Fellbach 2018, Bundesverdienstkreuz 2019.

Elke Erbs erste Buchveröffentlichungen waren »Gutachten, Poesie und Prosa« (1975) und »Der Faden der Geduld« (1978). Auswahlbände von ihr erschienen parallel im Westen. Anfang der 80er Jahre nimmt sie Kontakt zur unabhängigen Friedensbewegung auf. Ihre Arbeit an einer Anthologie »inoffizieller Literatur« und ihr Protest gegen die Ausbürgerung des Bürgerrechtlers Roland Jahn führten zur Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst. Gemeinsam mit Sascha Anderson gab sie 1985 die aufsehenerregende Anthologie neuerer Literatur in der DDR »Berührung ist nur eine Randerscheinung« heraus, die jedoch nur in der Bundesrepublik erscheinen konnte. 1987 veröffentlichte Erb den von der Kritik als epochal bezeichneten Band »Kastanienallee. Texte und Kommentare«, wofür sie den mit 15.000 DM dotierten Peter-Huchel-Preis erhielt. Erb legt hier die Methodik ihrer prozessualen Schreibweise offen, indem sie jedes Gedicht mit einem Kommentar begleitet – eine Form der poetischen Selbst- und Welterkundung, die zum besonderen Merkmal der Erbschen Texte wird.
Nach der Wende veröffentlichte Elke Erb 1991 den Prosatext »Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlussreiche Verhältnisse«, 1995 politische, autobiographische und poetologische Reflexionen in dem Band »Der wilde Forst, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa« sowie zahlreiche Gedichtbände: etwa »Sonanz. 5 Minuten-Notate« (2008), »Das Hündle kam weiter auf drein« (2013) oder im letzten Jahr, 2019, »Gedichtverdacht«, ihr jüngster Band mit Gedichten, Notaten, Selbstkommentaren, bei ihrem langjährigen Verleger Urs Engeler.

»Ich bin außerhalb der Form. Und das ist eine Chance und ein Risiko. Die Menschheit geht mit mir ein Risiko ein, ich diene als Risiko«, sagte Elke Erb 1978 in einem Gespräch mit Christa Wolf. Das sieht mehr als 40 Jahre später nicht anders aus.

Elke Erb lebt in Berlin und Wuischke (Sachsen). Sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und der Akademie der Künste in Berlin.

Werke
Gedichte und Prosa (Auswahl)

»Gutachten. Poesie und Prosa«. Aufbau Verlag, 1975
»Einer schreit: Nicht! Geschichten und Gedichte«. Wagenbach 1976.
»Der Faden der Geduld«. Mit einem Gespräch zwischen Christa Wolf und Elke Erb. Aufbau Verlag, 1978
»Trost. Gedichte und Prosa«. Auswahl und Einleitung: Sarah Kirsch. Deutsche Verlagsanstalt 1982.
»Vexierbild«. Aufbau Verlag 1983
»Kastanienallee. Texte und Kommentare«. Aufbau Verlag 1987
»Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlußreiche Verhältnisse«. Galrev, 1991
Poet’s Corner 3: »Elke Erb«. Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße, 1991
»Unschuld, du Licht meiner Augen. Gedichte«. Steidl Verlag 1994
»Der wilde Forst, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa«. Steidl Verlag 1995.
»Mensch sein, nicht. Gedichte und andere Tagebuchnotizen«. Urs Engeler Editor, 1998
»Sachverstand«. Urs Engeler Editor, 2000
»die crux«. Urs Engeler Editor, 2003
»Gänsesommer«. Urs Engeler Editor, 2005
»Sonanz. 5-Minuten-Notate«. Urs Engeler Editor, 2008
»Meins«. roughbook#006 bei Engeler, 2010
»Das Hündle kam weiter auf drein«. roughbook#028 bei Engeler, 2013
»Sonnenklar«. roughbook#032 bei Engeler, 2015
»Gedichte und Kommentare«. poetenladen, 2016
»Sonnenklar Meins: Das Hündle kam weiter auf drein«, bei Engeler, 2018 »Gedichtverdacht«. roughbook#048 bei Engeler, 2019

Auszeichnungen:
1988 Peter-Huchel-Preis für Kastanienallee
1990 Heinrich-Mann-Preis (zusammen mit Adolf Endler)
1993 Ehrengabe der Schillerstiftung
1994 Rahel-Varnhagen-von-Ense-Medaille
1995 Erich-Fried-Preis
1995 Ida-Dehmel-Preis
1999 Norbert-C.-Kaser-Preis
1999 F.-C.-Weiskopf-Preis der Akademie der Künste Berlin
2007 Hans-Erich-Nossack-Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft BDI
2011 Preis der Literaturhäuser
2011 Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung
2012 Roswitha-Preis
2012 Georg-Trakl-Preis für Lyrik
2013 Ernst-Jandl-Preis
2014 Anke Bennholdt-Thomsen-Preis für Lyrik der Deutschen Schillerstiftung
2016 Liliencron-Dozentur für Lyrik
2018 Mörike-Preis der Stadt Fellbach
2019 Bundesverdienstkreuz