Poesie in die Stadt 2009

Literaturhaus bringt chinesische Poesie in die Stadt

In den Sommermonaten Juli und August bringen die Literaturhäuser Berlin, Frankfurt, Graz, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Rostock, Salzburg, Stuttgart und Zürich in einer gemeinsamen Initiative mit der Robert Bosch Stiftung wieder Poesie in die Stadt: Auf Großflächen-Plakaten, Citylight-Postern, 4/1- und A1-Plakaten werden Gedichte aus dem heutigen China – 2009 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse – zweisprachig publiziert.

Kurator der Plakataktion ist der in Beijing lebende chinesische Lyriker Xi Chuan. Der 1963 geborene Autor hat für die Plakatmotive und die Lesungen zur Aktion „Poesie in die Stadt“ seine Auswahl lyrischer Stimmen aus China getroffen. Fast alle dieser Lyriker, wie auch Xi Chuan selbst, gehören der so genannten „posthermetischen“ Dichtung aus China an, die im Unterschied zur „hermetischen“ Dichtung im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt ist. In der Folge der traumatischen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 wandten sich diese Dichter vermehrt und in sehr individueller lyrischer Ausdrucksweise der Wirklichkeit zu. Zum Projektauftakt stellt Xi Chuan die ausgewählten Gedichte in den Literaturhäusern des Netzwerks vor. Unterstützt wird er dabei von den beiden Sinologen und den Übersetzern der Gedichte, Marc Hermann und Raffael Keller.

Vom 1. Juli an wird man den Plakaten in den Literaturhaus-Städten „begegnen“. In Veranstaltungen der Literaturhäuser werden ab Ende Juni Gedichte von Zhai Yongming, Ouyang Jianghe, Yu Jian, Han Dong, Chen Dongdong, Xiao Kaiyu, Yin Lichuan, Yan Yun, Chang Yao, Hai Zi und Xi Chuan in deutscher Übersetzung präsentiert.

Xi Chuans Auswahl sowie eigene Gedichte werden unter der Regie von Torsten Feuerstein im Berliner Label Fly Fast von den bekannten deutschsprachigen Schauspielern Hanns Zischler, Sebastian Koch, Matthias Brandt, Frank Arnold, Christoph Maria Herbst, Gerd Wameling, Ulrich Noethen, Marek Harloff, Sophie Rois und Alexander Khuon eingesprochen. Zur Buchmesse im Oktober liegt das fertig produzierte Hörbuch unter dem Titel Schmetterlinge auf der Windschutzscheibe vor und wird gemeinsam mit chinesischen Lyrikern auf der Buchmesse und in den Literaturhäusern Zürich und Leipzig vorgestellt.


Die Lyriker

Zhai Yongming wurde 1955 in Chengdu geboren, der Provinzhauptstadt von Sichuan, und betreibt dort das Künstlercafé „Weiße Nächte“. Auf Deutsch liegt ihr Gedichtband „Kaffeehauslieder“ (deutsch 2002) in der Übersetzung von Wolfgang Kubin vor. Ihre Lyrik handelt von Politik, von gesellschaftlichen Zwängen ebenso wie von ihren Aufenthalten in New York zu Anfang der Neunziger oder 2000 in Berlin als Stipendiatin des DAAD.

Ouyang Jianghe wurde 1956 in Luzhou in der Provinz Sichuan geboren. Er war Mitbegründer der „Vereinigung Junger Dichter von Sichuan“, einer nicht-offiziellen Organisation, die sich fern vom Kanon der chinesischen Staatsliteratur definierte. Ouyang steht für eine Lyrik, die statt auf Inspiration oder Eingebung auf Reflexion und den Ausdruck gereifter Erkenntnis setzt. Seine Gedichte sind in den Anthologien „Die Glasfabrik“ (deutsch 1993), „Dem Dichter des Lebens“ (deutsch 1997) und „Chinesische Akrobatik – Harte Stühle“ (deutsch 1995) vertreten.

Yu Jian, geboren 1954, wuchs in Kunming in der südchinesischen Provinz Yunnan auf, wo er noch heute lebt. In den 80er Jahren betrat er die literarische Bühne als einer der Mitbegründer und Autoren der einflussreichen inoffiziellen Lyrikzeitschrift Sie (Tamen). Yu Jian gilt als zentraler Vertreter und Vordenker einer so genannten „umgangssprachlichen“ und „volkstümlichen“ Dichtung. Auf Deutsch liegen bislang nur wenige Gedichte von ihm vor, nämlich einige kurze Gedichte in den LiteraturNachrichten Nr. 98, Herbst 2008, und das Langgedicht „Akte Null“ in Sirene. Zeitschrift für Literatur, Heft 19, Oktober 1997.

Han Dong, geboren 1961 in Nanjing in der Provinz Jiangsu, ist ein Autor, der durch die Tradition nicht-staatlicher Magazine wesentlich geprägt wurde. Dies verbindet ihn mit Yu Jian, genauso wie die Vorliebe für Stoffe aus dem Alltagsleben, die er in schlichter Umgangssprache behandelt. Gedichte von Han Dong sind in der Anthologie “Chinesische Lyrik der Gegenwart“ (2006) vertreten.

Chen Dongdong wurde 1961 in Shanghai geboren. Der Autor ist beständig auf der Suche nach poetischer Modernität, beschreibt in seinen Gedichten die Stadt und das kulturelle Traumleben. Ein Schwerpunkt seines theoretischen Interesses liegt auf klassischer chinesischer Poesie.

Xiao Kaiyu wurde 1960 auf dem Land in der Provinz Sichuan geboren. Nach dem Abschluss als Arzt für traditionelle chinesische Medizin begann er 1985 eigene Gedichte zu veröffentlichen. Er war Gründer und Redakteur einflussreicher Untergrundzeitschriften für Lyrik, verbrachte als Stipendiat mehrere Jahre in Deutschland und lebt heute wieder in Shanghai. Auf Deutsch liegt sein Gedichtband „Im Regen geschrieben“ (2003) vor.

Yin Lichuan wurde 1973 in Beijing geboren. Die Autorin schreibt lakonische und direkte Gedichte im Beat-Style, die auch politisch klar für mehr Demokratie Stellung beziehen. Sie tritt selbstbewusst für chinesische Traditionen ein und nutzt dafür die modernsten Kommunikationsformen. Yin Lichuan gehört zu einer neuen Pekinger Intellektuellengeneration.
Yan Jun, geboren 1973 in Lanzhou in der Provinz Gansu, ist nicht nur Lyriker, sondern auch Musiker der so genannten Noise Music. Als Soundkünstler wie als Lyriker gehört Yan Jun, der in Beijing lebt, zu den Protagonisten des jungen kulturellen „Untergrunds“.

Chang Yao, geboren 1936 in der Provinz Hunan, gestorben 2000 in der Provinz Qinghai, begann schon in den 50er Jahren zu schreiben. Heute ist sein Rang in China allgemein anerkannt, auch wenn er außerhalb Chinas noch kaum bekannt ist.

Hai Zi wurde 1964 in der Provinz Anhui geboren und beging im März 1989 Selbstmord. Hai Zi ist ein in China nach wie vor äußerst bekannter Lyriker. Er wird dort vor allem für seine Gedichte über die Natur und das Landleben geliebt.


Xi Chuan – Kurator

Xi_Chuan

Xi Chuan (eigtl. Liu Jun), 1963 in Xuzhou, in der Provinz Jiangsu geboren, arbeitete nach dem Englisch-Studium zunächst als Redakteur und war eine Zeitlang Gastprofessor in den USA. Heute unterrichtet der bekannte Lyriker und Übersetzer Klassische Chinesische Literatur an der Zentralakademie der Schönen Künste in Beijing. Xi Chuan wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Schon als Student trat Xi Chuan literarisch hervor, gründete mehrere Literaturmagazine, die sich Problemen mit der Zensur ausgesetzt sahen. Nach den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 und dem Selbstmord seines Dichterfreundes Hai Zi wandte sich Xi Chuan von seiner ursprünglich klassizistischen Kunstauffassung ab.

Xi Chuan ist insbesondere für seine langen Prosa-Dichtungen bekannt. Zu seinen wichtigsten Texten zählen „Zhijing“ (1992; Ü: Gruß) und „Ying de Huayu“ (1999; dt. „Die Diskurse des Adlers“, 2004), in denen er sich dem Absurden der Existenz zuwendet. Bisher veröffentlichte Xi Chuan vier Lyrikbände, darunter „Dayi ru ci“ (1997; Ü: Das ist gemeint) und „Geren Haowu“ (2008; Ü: Private Vorlieben), ein Theaterstück und drei Essaybände. 1997 gab er die Werke seines verstorbenen Freundes Hai Zi heraus.

Mehrere Stipendien ermöglichten ihm längere Aufenthalte im Ausland, etwa in Indien, den USA und im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Deutschland. Im Rahmen des Programms „Beijing Case“ setzte er sich 2005/06 mit dem chinesischen Bauboom und der Zerstörung gewachsener urbaner Strukturen sowie religiöser Orte in der Großstadt auseinander. Xi Chuan lebt in Beijing.


Die Aktion Literaturhaus bringt Poesie in die Stadt 2009 mit chinesischer Lyrik ist eine Initiative des Netzwerks der Literaturhäuser literaturhaus.net und der Robert Bosch Stiftung. Sie wird unterstützt von ARTE, dem Medienpartner des literaturhaus.net, und von WDR 3. Als Sponsoren engagieren sich in Deutschland der Fachverband für Außenwerbung e.V. FAW, in Österreich die Progress Out of Home Media Salzburg, in der Schweiz die Stadt Zürich, Kultur, und die Zürcher Kantonalbank