»Wir Strebermigranten. Über Integration und Assimilation«
Ein Projekt des Literaturhauses Leipzig, gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung
Im Jahr 2017 verfügen 18 Millionen Bundesbürger über einen Migrationshintergrund. Was politisch und gesellschaftlich lange Zeit verneint wurde: Die Bundesrepublik ist schon seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Eine wichtige Etappe in diesem Prozess bilden die verschiedenen Anwerbeabkommen in den 1950er- und 1960er-Jahren, als rund 14 Millionen Gastarbeiter zu uns kamen, drei Millionen blieben dauerhaft. Hinzu kamen viereinhalb Millionen Aussiedler aus dem Osten Europas. Doch nie wurden die damit einhergehenden Herausforderungen so kontrovers diskutiert wie heute. Es wird der Ruf nach Integration laut, die in ihrem Kern eine Assimilation ist: Der Ankommende soll nicht auffallen, soll sich der neuen Gesellschaft anpassen, die ihrerseits aber bleibt wie zuvor. »Integration ist keine Einbahnstraße« wenden Andere ein.
In diese Diskussion mischen sich nun Stimmen von »Betroffenen«, von Migranten, die bereits in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, die sich äußerlich angepasst haben, aber hin- und hergerissen sind zwischen verschiedenen Identitäten. Eine von ihnen ist Emilia Smechowski, deren starkes Debüt »Wir Strebermigranten« (Hanser Berlin 2017) diesem Projekt seinen Namen gegeben hat. »Wir sind unsichtbar. Wir sind gar nicht mehr da, so gut gliedern wir uns ein. Wie Chamäleons haben wir gelernt, uns in der deutschen Gesellschaft zu verstecken«, sagt Smechowski. Doch der übersteigerte Integrationswille verkehre sich bei vielen ins Gegenteil und führe dazu, dass sie ihre Herkunft und damit einen wichtigen Teil ihrer Identität verleugnen. Das sei kein Ankommen, sondern ein »Versteckspiel«, das viele junge Menschen »mit Migrationshintergrund« nicht mehr mitspielen wollen: »In der globalen multikulturellen Welt des 21. Jahrhunderts sind wir die Pioniere… Unsere Stärke liegt in unseren diversen kulturellen, sprachlichen und lebensphilosophischen Wurzeln. Diese prägen unsere Ideen und unsere Mentalität… Auf dieses Anderssein sind wir stolz. Wir verstecken es nicht – damit ist Schluss –, sondern machen es zu unserem höchsten Gut. « So schreibt Judith Magdalena Sobczak in der ZEIT. Wie Emilia Smechowski ist sie Deutsche mit polnischen Wurzeln.
Untermauert werden diese Beobachtungen von der Statistik: Einer Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung zufolge ist die Neigung zum Studium bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund um 9 Prozent höher als bei ihren Mitschülern. Oftmals sind sie Klassenbeste, »Streber« wie Emilia Smechowski. In einem Bericht über Reem, »das Mädchen das vor der Kanzlerin weinte«, heißt es, sie sei im letzten Zeugnis die einzige in ihrer Klasse mit einer 1 in Deutsch gewesen. Die Erfahrungen derer, die sich dem Integrationsprozess bereits unterworfen haben, sind von großer Wichtigkeit für die heutige Debatte in ganz Europa. Auch deshalb, weil Diskriminierung nach wie vor selbst für die Bestintegrierten ein Thema ist.
In dem geplanten Projekt sollen möglichst viele, nicht nur deutschsprachige Autoren zu Wort kommen, die mit ihren Migrationserfahrungen dazu beitragen können, für Verständnis zu werben, interkulturellen Dialog zu ermöglichen, Schranken und Vorurteile zu überwinden. Deshalb sollen neben Emilia Smechowski, Melinda Nadj Abonji, Catalin Dorian Florescu, Ilija Trojanow, Ijoma Mangold, Saša Stanišić und Uljana Wolf auch Velibor Colic und Kaouther Adimi u.a. eingeladen werden.
Weitere Informationen unter www.haus-des-buches-leipzig.de