»Die große Lesereise war ein tolles Eisenbahnabenteuer, das auch mein Buchfreund Alois Nebel lieben würde. Danke für die schönen Lesungen und Begegnungen. Und auch für das Bier und die vielen Schnitzel!« Jaroslav Rudiš
Das Netzwerk der Literaturhäuser verleiht den Preis der Literaturhäuser 2018 dem tschechischen Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor und Publizisten Jaroslav Rudiš. Der am 8. Juni 1972 im nordböhmischen Turnov geborene Autor studierte Germanistik, Geschichte und Journalistik in Liberec, Zürich und Prag, bevor er mit einem journalistischen Stipendium nach Berlin an die Freie Universität kam, wo sein Erstlingsroman »Nebe pod Berlínem« (2002; dt. »Der Himmel unter Berlin«, 2004) entstand, ausgezeichnet mit dem Jiří-Orten-Preis. Davor arbeitete Rudiš u.a. als Lehrer und Journalist. 2006 veröffentlichte der Prager Labyrint Verlag seinen zweiten Roman »Grandhotel«, der wieder zwei Jahre später auf Deutsch erschien und mit Jaroslav Rudiš in einer Nebenrolle verfilmt auch auf der Berlinale gezeigt wurde. Ab da erschienen fast jährlich Romane, die Eva Profousová ins Deutsche übersetzt hat, sowie zahlreiche Theaterstücke, Kino- und Fernsehfilme, Hörspiele, Opernlibretti und Essays in überregionalen deutschsprachigen Zeitungen.
Jedes neue Buch von Jaroslav Rudiš – zuletzt die Romane »Vom Ende des Punks in Helsinki« (2014) und »Nationalstraße« (2016, beide im Luchterhand Literaturverlag) – wird von der Kritik beachtet und in andere Sprachen übersetzt, z.B. ins Polnische, Schwedische, Französische, Spanische und Italienische. Zum jüngsten Roman »Nationalstraße« entstanden Theaterfassungen in Bremen und Dresden – die Filmfassung wird 2018 in die Kinos kommen, Rudiš schrieb dafür mit einem Co-Autor das Drehbuch.
Der tschechische Schriftsteller hat die tschechische und deutschsprachige Literatur in den vergangenen Jahren aber nicht nur mit seiner Prosa bereichert, große Aufmerksamkeit erregte er vor allem durch Crossover-Arbeiten. So erschien gemeinsam mit dem Künstler Jaromír Švejdík alias Jaromír 99 – in Tschechien als Rocksänger gefeiert – die Graphic Novel »Alois Nebel« (ursprünglich als Trilogie von 2003 bis 2005, auf Deutsch 2012 in einem Band bei Voland & Quist). Die gleichnamige Filmversion wurde als Bester Animationsfilm mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet (www.youtube.com). Ausgehend vom Literaturhaus Stuttgart entstand dazu ebenfalls 2012 eine Ausstellung, die in etlichen Literaturhäusern im deutschen Sprachraum gezeigt wurde und durch Europa tourte. Ein anderer Grenzgang führt den leidenschaftlichen Bahnfahrer und Bierkenner Rudiš immer wieder zur Musik. 2013 gründete er mit Jaromír 99 die Kafka Band. In Zusammenarbeit mit fünf der bekanntesten Rockmusiker Tschechiens wurde die CD zu Franz Kafkas Romanfragment »Das Schloss« eingespielt (www.youtube.com), es gab Konzerte in ganz Europa (von den Niederlanden bis in die Ukraine) und 2015 eine inszenierte Fassung am Theater Bremen. 2017 folgte mit Amerika eine weitere Kooperation mit dem Bremer Schauspiel-Ensemble (www.youtube.com).
Jaroslav Rudiš zeichnet in seinen Texten mit Ironie und feinem Gespür für die Alltagsängste der Menschen die Gesellschaft anhand von besonderen Typen, die häufig Opfer tragikomischer Ereignisse sind. Dabei begibt er sich gern in den Untergrund und an die Ränder von Orten, Zeiten und Leben, um einen umso schärferen Blick auf die Wirklichkeit zu werfen. So sind seine Bücher cool, witzig, kritisch, politisch, poetisch, widerständig, anti-bürgerlich, berührend und verführerisch – kurzum: literarischer Rock’n’ Roll.
Jaroslav Rudiš schreibt auf Tschechisch und Deutsch und spricht mehrere Sprachen. Er lebt als freier Autor in Berlin und in Lomnice nad Popelkou im Böhmischen Paradies, nahe der tschechischen Stadt Jičín, dem Geburtsort von Karl Kraus. 2014 wurde Rudiš als „wichtige tschechische Stimme im Konzert der europäischen Gegenwartsliteratur“ mit dem Usedomer Literaturpreis ausgezeichnet. Mit dem Preis der Literaturhäuser 2018 ist er hoffentlich endgültig in der deutschsprachigen Literatur angekommen. Die Programmleiterinnen und Programmleiter der im Netzwerk verbundenen Literaturhäuser ehren Jaroslav Rudiš für sein vielfältiges literarisches Werk und als Autor, der in öffentlichen Auftritten, in Lesungen und Diskussionen, als Musiker und in Crossover-Projekten das Publikum zu begeistern versteht.
Frühere Preisträger waren Ulrike Draesner (2002), Bodo Hell (2003), Peter Kurzeck (2004), Michael Lentz (2005), Uwe Kolbe (2006), Sibylle Lewitscharoff (2007), Anselm Glück (2008), Ilija Trojanow (2009) , Thomas Kapielski (2010), Elke Erb (2011), Feridun Zaimoglu (2012), Hanns Zischler (2013), Judith Schalansky (2014), Nicolas Mahler (2015), Ulf Stolterfoht (2016) und Terézia Mora (2017).